Die Anfänge
Die Stadt Witten wandelte sich zum Ende des 19. Jahrhunderts von einer landwirtschaftlichen zu einer industriell geprägten Stadt. Die Industrialisierung hat viele Familien mit Kindern angezogen. Viele organisierten sich in Vereinen und Kirchengemeinden. In den Jahren vor der Gründung unserer Kreuzgemeinde, am Ende des 19. Jahrhunderts, wirkte in Witten ein junger Pastor namens Birkenhoff. Er hatte eine missionarische Art zu predigen und ihm war es geschenkt, dass er gerade junge Menschen für den christlichen Glauben begeistern konnte. Seine Anhängerschaft wuchs und der Neid der anderen Kollegen war ihm sicher. Es entsponnen sich Streitereien, die zum Teil öffentlich ausgetragen wurden. Es stand sehr schnell im Raum, dass ein großer Teil der Gemeinde aus der Landeskirche austreten wollte. Im Zusammenhang der Streitigkeiten hatte die landeskirchliche Gemeinde den Begriff „lutherisch“ in ihren Namen aufgenommen. Aber die Entwicklungen ließen sich weder aufhalten noch zurückdrehen.
Die Frauen als treibende Kraft
Im Übrigen verdient es festgehalten zu werden, dass es in der gesamten Entwicklung oft genug die Frauen waren, die auf Konsequenz drangen und daher als die wichtigste Trägerschicht der kirchlichen Bewegung angesehen werden müssen, die zur Gründung der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Witten führte. So bemerkte im Januar 1897 ein Kirchenvorsteher: „Bei der Bildung der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Witten habe man auch so recht den Wert der deutschen Frau kennen- und schätzen gelernt. Wenn die Männer manchmal aus Menschenfurcht noch nicht so recht gewollt hätten, dann wären die Frauen kühn vorangeschritten, und gerne seien die Männer dann gefolgt.“
Wittener treten aus der Landeskirche in die Ev.-Luth. Kirche in Preußen ein
Nach wie vor blieb gerade die Haltung des Oberkirchenkollegiums (Kirchenleitung) der Ev.-Luth. Kirche in Preußen (eine der Vorgängerkirchen der heutigen SELK; auch „Ev.-Luth. [altlutherische] Kirche“ genannt) abwartend.
Dennoch wurden schon am 3. Sonntag nach Trinitatis in dem als Gottesdienstraum hergerichteten Saal des Jünglingsheims [später die Ev.-Luth. Kreuzkirche; der heutige Nachfolgebau von 1953 steht an derselben Stelle], 250 Personen in die Ev.-Luth. Kirche in Preußen aufgenommen und ein erster Abendmahlsgottesdienst gefeiert. Drei Kirchenvorsteher wurden gewählt und das Oberkirchenkollegium [Kirchenleitung] der Altlutherischen Kirche in Breslau um Anerkennung der Gemeinde gebeten. Die Anerkennung erfolgte am 23. Juni 1896.
Die Kirchenleitung in Münster hatte Anfang Juni noch versucht, vor einem Anschluss an die Evangelisch-Lutherische Kirche in Preußen [Altlutheraner] zu warnen. Die Wittener Lutheraner antworteten am 29. Juni und drückten aus, „dass die evangelisch-lutherische Kirche, welcher wir nun beigetreten sind, die kirchlichen Segnungen und Rechte, auf die wir (in der Landeskirche) verzichtet haben, nicht nur reichlich ersetzen, sondern sogar für uns und unsere Kinder besser als die Landeskirche garantieren kann.“ Es ging den Verantwortlichen um das Bedürfnis nach Sicherstellung des neuen Glaubenslebens in der Gemeinde.
Zwar beantragte Pastor Birkenhoff am 26. Juni die Aufnahme in den kirchlichen Dienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen und legte am 5. Juli feierlich das Aufnahmegelübde ab. Dennoch telegraphierte er am 16. Juli seine Absage nach Breslau. Es heißt, er fühle sich, trotz aller Unterschiede in der Lehre von seinem Gewissen nicht gebunden, einen Austritt aus der Landeskirche zu vollziehen.
Konsolidierung
Nach diesen Ereignissen wuchs die Gemeinde weiter. Anfang August wurde ihre Seelenzahl auf etwa 8.000 geschätzt. Man bezeichnete die damaligen Ereignisse der Gemeindegründung als erstaunliche und erfreuliche Entdeckung, „dass es eine solche Kirche in unserm Vaterlande gibt, wo alle Pastoren dasselbe Evangelium verkünden von der Gnade, Buße, Glauben, von Taufe und Abendmahl“.
Die ersten Pastoren
Am 14. August schließlich wurde Pastor Sommerfeld mit 475 Stimmen als erster Pastor der Evangelisch-lutherischen Gemeinde in Witten gewählt. Am 13. September wurde er unter großer Anteilnahme der Bevölkerung feierlich in sein Amt eingeführt. Das anhaltende Wachstum der Gemeinde machte noch im November 1896 die Ausschreibung einer zweiten Pfarrstelle notwendig; sie wurde am 14. März 1897 mit Pastor Gustav Schnieber besetzt.
Das Gemeindeleben
Der innere Ausbau der Gemeinde ging weiter zügig voran. Schon Anfang November 1896 konnte gemeldet werden, dass das „Vereinsleben“ sich „in erfreulicher Weise“ entwickele. Ein Chronist berichtet, dass „das innere Leben der Gemeinde sehr rege“ sei. An Vereinen sind vorhanden: Jünglings- und Männerverein „Wittenberg“, Lutherischer Bürgerverein, Kirchenchor, Männerchor, zwei Frauenvereine, zwei Jungfrauenvereine. Ältester Verein der Kreuzgemeinde ist der Posaunenchor. Der Begriff „Vereinsleben“ im Blick auf eine Kirchengemeinde befremdet heutige Ohren. Doch damals nannte man Gemeindekreise „Vereine“ … unter Beteiligung der Pastoren, um die Entwicklungen in der Gemeinde zu belgleiten.
Ein neuer Name
Die Evangelisch-Lutherische Gemeinde in Witten nahm sehr bald – das genaue Datum ist nicht mehr feststellbar – den Namen „Evangelisch-Lutherische Kreuzgemeinde“ an.
Anerkennung
Der neuen Kreuzgemeinde ging es nun um die Anerkennung in der Stadt. Diese Frage wurde sehr rasch konkret, nämlich bei Gelegenheit der Beerdigungen. So wurden von Gemeindegliedern der Evangelisch-Lutherischen Kreuzgemeinde erhöhte Gebühren bei Benutzung des landeskirchlichen Friedhofs verlangt; die Pastoren der Kreuzgemeinde durften auf dem Friedhof nicht amtieren. Dieser Umstand beschleunigte das Bemühen der Kreuzgemeinde, einen eigenen Friedhof zu erwerben. Er wurde im Frühjahr 1898 staatlich genehmigt und am 17. April feierlich eingeweiht. In der Stadt Witten wurde die Gemeindebildung offenbar recht bald akzeptiert. Anzeichen dafür ist die Tatsache, dass bei der Einführung von Pastor Schnieber im März 1897 Bürgermeister Dr. Haarmann anwesend war und eine Rede hielt, in der er, konfessionelle Neutralität bekundetest. Allerdings wurden der Kreuzgemeinde erst am 11. November 1897 die Körperschaftsrechte verliehen.
Der 1. Weltkrieg und der „Kriegsbote“
Im 1. Weltkrieg rief Pastor Kabitz den „Kriegsboten“ ins Leben, der von Anfang an dafür bestimmt war, ein „Friedensbote“ zu werden, wie er es seit 1919 bis heute heißt. Diese Gründung schien notwendig, um die Verbindung mit den Gemeindegliedern an der Front aufrechtzuerhalten. Er diente aber auch dazu, Nachrichten „aus dem Felde“ in der Heimat bekanntzumachen, und entwickelte sich zusätzlich zu einem innergemeindlichen bzw. innerkirchlichen Mitteilungsblatt. Aus den Zahlenangaben für die ersten 20 Jahre lässt sich errechnen, dass pro Jahr durchschnittlich 135 Taufen und 120 Konfirmationen, 39 Trauungen und 70 Beerdigungen stattfanden. Die Zahl der Gemeindeglieder belief sich Ende 1912 nur noch auf 3536 Seelen; dies bedeutete eine Halbierung der Seelenzahl im Vergleich zum Jahr 1897.
Erster „Gegenwind“
Im August 1918 war die Stimmung in der Gemeinde auf dem Tiefpunkt angelangt; der Krieg hatte spürbare Auswirkungen auch auf das Gemeindeleben: „Der große Abfall beginnt“, kommentierte Pastor Kabitz den Gang der Dinge in Gemeinde und Welt. Die vorletzte Nummer des Kriegsboten verzeichnete in der Ehrentafel 120 Gefallene aus den Reihen der Kreuzgemeinde. Insgesamt waren mehr als 400 Männer Soldaten gewesen. Inzwischen war das 30jährige Bestehen der Kreuzgemeinde gefeiert worden. Pastor Weicker hatte sich genötigt gesehen, „einen neuen Anfang“ anzumahnen und warnte mit der Parole: „Stillstand ist Rückgang!“
Gesellschaftlicher Druck
Anfang 1927 erreichte die Gemeinden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen ein Hirtenbrief des Oberkirchenkollegiums [Kirchenleitung], in dem die Gemeinden vor „Verweltlichung“ gewarnt und zu Frömmigkeit und Verantwortung … ermahnt wurden. Ebenso gegen einen modernen Trend war es, wenn der „Bubikopf“ im Friedensboten als „Eingriff in die Schöpfungsordnung“ gebrandmarkt wurde. Die moderne Frauenfrisur wurde als Zeichen weiblicher Emanzipation wahrgenommen, was sie auch war, und wurde darum folgerichtig abgelehnt. Erst 1938 im Nachgang der allgemeinen und politischen, auch landeskirchlichen Entwicklungen, wurde das aktive und passive Wahlrecht auch für Frauen eingeführt.
Ein Profil finden
Es wird auch über einen Streit um die Gottesdienstform berichtet. Die aus landeskirchlicher Zeit bekannte war eine sehr schlichte Form und die in der Ev.-Luth. [altltuh.] Kirche übliche, stärker liturgisch geprägt. Bemerkenswert ist, dass diese Form offenbar gerade bei der Jugend gut ankam. Die Jugend war reiseaktiv und hatte die liturgische Form bereits in anderen Gemeinden der Ev.-Luth. [altltuh.] Kirche kennengelernt. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Abendmahlsrestanten bei über 50% der Gemeindeglieder lag und der Gottesdienstbesuch bei 14% der Gesamtseelenzahl, gab es vermehrte volksmissionarisch ausgerichtete Veranstaltungen.
Weltwirtschaftskrise
Die Wirtschaftslage der Gemeinde verschlechterte sich 1932 dramatisch; darum wurde wegen der Armut eine „Pfennigsammlung“ eingerichtet. Schließlich veranstalteten die Schwestern der Gemeinde eine Sammlung zur Winternothilfe. Für die pastorale Versorgung der Parochie hatten die finanziellen Nöte zur Folge, dass die Kirchenleitung einen Pastor nach Groß-Justin in Pommern berief, „wegen der Unmöglichkeit, das Pfarramt im Westen finanziell aufrecht zu erhalten“.
Gemeinde unter NS-Druck
Die Zeit ab 1933 wurde und wird oft aus dem Bewusstsein verdrängt. Der Friedensbote enthielt seit jeher so gut wie keine Stellungnahmen zu politischen Entwicklungen; darum müssen auch kleine Beobachtungen zu einem Mosaik zusammengefügt werden. Dabei kann es nicht darum gehen, einzelne oder „die“ Gemeinde pauschal zu beurteilen. Gleichwohl kam es beim Stiftungsfest des Bürgerverein Ende Juli 1933 zu einer Befürwortung der nationalsozialistischen Politik. Wie auch sonst weithin in Deutschland, hoffte man nach dem 1. Weltkrieg und den Erfahrungen der politischen Zerrissenheit in der Weimarer Republik, nun auf die Erreichung einer „deutschen Volksgemeinschaft“.
In der Kreuzgemeinde selbst hatte die Reduzierung der Pfarrstellen erhebliche Auswirkungen. Zwar wurde Hilfsprediger Seefeldt [er war in den 1950iger Jahren als Pastor der Kreuzgemeinde „Motor“ des Siedlungsbaus am Gemeindefriedhof an der Königsberger Straße] noch 1933 ordiniert, so dass er sämtliche Amtshandlungen vornehmen konnte; jedoch wurden die Gottesdienste am Sonntag von zwei auf einen beschränkt, um Nachbargemeinden besser mitversorgen zu können. Bis dahin bestehende Kirchbaupläne wurden aufgegeben; stattdessen entschloss man sich zu einem Umbau der Kirche und zur Neuanschaffung einer Orgel. Die Umbauarbeiten begannen im November 1933 und waren im Frühjahr 1934 abgeschlossen; die neue Orgel wurde am 2. September 1934 geweiht.
Ab 1934 wurden die bisherigen Bibelstunden zu Schulungsabenden umgestaltet; thematisiert werden sollte, dass die „Christenheit im Kampf“ stehe. Es ging um Fragen des christlichen Glaubens, die die Gemeindeglieder im NS-Alltag stützen sollten. So wurde auch auf die nationalsozialistische Rassenideologie eingegangen und auf eine biblische Sichtweise verwiesen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Mahnung zur „Erziehung unserer Jugend zu kirchlicher Treue in der Gegenwart“; sie ist zu verstehen auf dem Hintergrund, dass die Hitler-Jugend (HJ) ihre Veranstaltungen bewusst auf die Zeiten der Gottesdienste oder des kirchlichen Unterrichts legte und so eine Konkurrenz zur kirchlichen Jugendarbeit sein wollte.
Schon seit Jahren war es üblich, nach den Gottesdiensten für die „Großen“ große Anstrengungen für einen Kindergottesdienst zu unternehmen. Nach Geschlechtern getrennt und jeweils in drei Altersgruppen, wurden den Kindern die biblischen Geschichten nahegebracht und sie erlebten so ein Stück Gemeindeleben und dass sie ein Teil der Gemeinde sind. Gleiches gilt auch für den kirchlichen Unterricht in den 1930iger Jahren. Mit großem Engagement aus der Gemeinde und der Gemeindeschwester wurde der kirchliche Unterricht betrieben, da die NS-Verantwortlichen in dieser Zeit den kirchlichen Unterricht in der Schule untersagten. Bis heute kann man von älteren Gemeindegliedern hören, wie wichtig und umfänglich die Arbeit der Gemeindeschwestern in der Kreuzgemeinde war. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang Schwester Marie Steinmann (1920-1967) genannt. Neben dem Unterricht nahmen Gemeindeschwestern diakonische Aufgaben wahr, wie Besuche in der Gemeinde, sie informierten nötigenfalls die Pastoren, begleiteten die Kranken, betreuten die Wöchnerinnen und vieles andere mehr. Die Jugendorganisationen der NSDAP waren in den Jahren vor und während des 2. Weltkriegs auf allen Ebenen von Gesellschaft und Kirche sichtbar. Immer wieder wurden junge Leute aus dem „Jungvolk“ und der „Hitler-Jugend“ [HJ] zu NS-Schulungen eingeladen, um womöglich danach in der NSDAP Führungspositionen übernehmen zu können. Was für ein teuflisches „Spiel“!
Gemeindeglieder und Pastor unter NS-Druck
Friedel Pfeifer [Jahrgang 1929] als Augenzeuge der damaligen Zeit, berichtet zusammenfassend, dass die NSDAP auf allen Ebenen aggressiv gegen Kirche und Glaube vorging. Das so aufgebaute alltägliche Spannungsfeld, in dem besonders Christen damals leben mussten, sei im Grunde unerträglich gewesen und lässt sich heute kaum mehr erahnen. Die Nachrichten über die inneren Verhältnisse der Kreuzgemeinde werden in den folgenden Jahrgängen des Friedensboten, zumal unter der allmächtigen Diktatur der GeStaPo und ihrer Spitzel, immer spärlicher. Aber zwischen den Zeilen der Andachten ist zu lesen, wie Pastor Haertwig versuchte, die christliche Identität unter der Herrschaft des Nationalsozialismus zu bewahren und ermahnt: „Wenn auch die Welt nichts für so überflüssig hält als die Kirche; ihre Glieder für kranke, mindestens unnütze Elemente: Der Sohn Gottes erklärt sie für unentbehrlich!“ Zugleich war er darum bemüht, „den ganzen Ernst“ Gottesdienst, Kindergottesdienst und kirchliche Jugendarbeit gegen die „HJ“ aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang wird das „oft sehr unkirchliche und gleichgültige Verhalten der Eltern und der Jugend“ beklagt.
In der Gemeinde-Chronik ist verzeichnet, dass Pastor Haertwig seiner kirchlich konsequenten Haltung wegen mindestens dreimal von der Gestapo vernommen wurde. Ab Oktober 1936 bestand die Notwendigkeit, zu den zum Arbeits- und Militärdienst eingezogenen Gemeindegliedern die Verbindung zu halten, etwa durch Zusendung des Friedensboten. Die kritische Distanz zu der geistigen Entwicklung in Deutschland unter dem Nationalsozialismus, die je länger je mehr auf eine Verdrängung der Kirche aus dem öffentlichen Leben hinauslief, steht immer wieder zwischen den Zeilen.
Gesamtkirchlich wurde gerade in dieser Zeit vor allem die Jugendarbeit als eine der Hauptaufgaben angesehen. So hatten die bald eingerichteten Bibel- und Singfreizeiten zum Ziel, die Jugend zu sammeln, auch um „Aussprachen über Gegenwartsfragen“ zu ermöglichen; darunter kann durchaus auch die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie verstanden werden. Vor allem ging es um die Einbindung der Jugend in Glauben und Kirche.
Der 2. Weltkrieg
Am 1. September 1939 begann der 2. Weltkrieg. Im Gegensatz zu der Aufbruch-Stimmung von 1914, waren die Töne 1939 deutlich verhaltener. Gleich zu Beginn ist auch im Friedensboten von der Wirklichkeit des Krieges schonungslos die Rede, von „seelischen Strapazen“, von „tiefstem Weh“ und von „harten Prüfungen“. Das kirchliche Leben ging auch in den ersten Kriegsjahren, soweit erkennbar, weithin seinen gewohnten Gang, verbunden allerdings mit zunehmenden Einschränkungen. Als Deutschland selbst zum Kriegsschauplatz wurde und besonders das Ruhrgebiet Ziel alliierter Bombenangriffe wurde, änderte sich alles.
Zerstörungen durch Bomben
Witten wurde am 12. Dezember 1944 verheerend getroffen. Kirche und Pfarrhaus [zeitgleich auch die benachbarte Johanniskirche] wurden zerstört. Frau Haertwig, die Pfarrfrau und Mutter von neun Kindern, kam bei diesem Angriff ums Leben. 80 Gemeindeglieder starben allein im Kriegsjahr 1944/45. Pastor Haertwig und zahlreiche Familien der Gemeinde wurden obdachlos, denn Witten war zu 80% zerstört. Nach den großen Zerstörungen des 2. Weltkriegs mussten die Gottesdienste in der Friedhofskapelle stattfinden, danach im Zeichensaal der Breddeschule. In Eigeninitiative wurde bald nach Kriegsende der „Kleine Kirchsaal“ [heute: Gemeindesaal und Kinder- und Jugendetage] wiederhergerichtet; er konnte 1948 als Gottesdienstraum geweiht werden.
Aber auch in der enttrümmerten Kirche nebenan fanden Gottesdienste zu besonderen Anlässen statt. Hier ein Jugendgottesdienst zu Pfingsten in den 1940iger Jahren.
Die Ev.-Luth. Kirche in Preußen nach 1945
Die Besetzung Ostpreußens, Pommerns und Schlesiens führte in den Jahren nach 1945 zu Flucht und Vertreibung von 12 Millionen Deutschen aus diesen Gebieten. Der Evangelisch-lutherischen Kirche in Preußen gingen dadurch nahezu zwei Drittel ihrer Kirchen und Pfarrhäuser, auch Schulen und Friedhöfe verloren. Hatte sie 1940 noch 61.129 Kirchglieder gezählt, so waren es nach dem 2. Weltkrieg nur noch etwa 40.000 Kirchglieder. Viele der Vertriebenen flohen in den Westen, obwohl auch hier Zerstörung, Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot herrschten. Hinzu kam später die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen; später die Teilung in zwei deutsche Staaten, die eine gesamtdeutsche kirchliche Arbeit quasi unmöglich machten.
Die deutschen Landeskirchen
Im Jahr 1948 schlossen sich die evangelischen Landeskirchen einschließlich der lutherischen zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammen. Die Evangelisch-lutherische Kirche in Preußen beendete daraufhin die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, die sie bis dahin mit den lutherischen Landeskirchen unterhalten hatte.
Auf dem Weg zur heutigen SELK
Im Bereich der lutherischen Freikirchen war es ebenfalls 1948 zu einer Annäherung gekommen. Es wurde Kirchengemeinschaft unter allen selbständigen evangelisch-lutherischen Kirchen errichtet. Dies war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Zusammenschluss eines Großteils dieser Kirchen zur „Selbständigen Evangelisch-Lutherische Kirche“ [SELK] im Jahr 1972, der die Evangelisch-Lutherische Kreuzgemeinde Witten seitdem angehört. Die Gründung der SELK jährt sich also im nächsten Jahr zum 50. Mal.
Im Januar 1951 erschien der Friedensbote wieder. 1941 wurde sein Erscheinen aus Kriegsgründen eingestellt. Die ersten Jahrgänge lassen das Bemühen Pastor Seefeldts erkennen, die lutherische Bekenntnishaltung tiefer in der Gemeinde zu verankern; so finden sich in großer Zahl von Artikel über die verschiedenen Aspekte lutherischer und reformierter Lehre. Es fehlt aber auch nicht an selbstkritischen Tönen, Klagen über Proteste gegen Kirchenbeitragserhöhungen, den Rückgang des Gottesdienstbesuchs, manche Not in den Häusern und Familien. Auf der anderen Seite war Anfang der 1950iger Jahre auch eine gewisse Erholung von den Kriegsfolgen spürbar; das galt auch für das Gemeindeleben.
[Diesen Zeilen liegen ein Gespräch mit Herrn Friedel Pfeifer und eine Sichtung der Festschrift zum 100. Gemeindejubiläum zugrunde, die in der Reihe „Oberurseler Hefte“ Nr. 32, Werner Klän, Friedel Pfeifer, Ulrich Gotthard Schneider, Oberursel 1996, erschienen ist]